Übergänge als Aufgabe im Sozialraum Schule – Eine qualitative Analyse von sozialräumlichen Unterstützungsangeboten begleitend zur Schultransition in Niederösterreich

Anna-Lena Mädge

1. Einleitung

Die Schulzeit umfasst in Österreich und den Ländern der europäischen Union einen mehrjährigen Zeitraum in dem Schüler:innen für die persönliche Entwicklung wichtige Lebensphasen durchlaufen. Dies trifft im Besonderen für die Zeit rund um den Wechsel von der Primar- in die Sekundarstufe zu, welche mit der Adoleszenz von Schüler:innen korrespondiert. Fehlen in dieser Entwicklungsphase Freundschaften zu Gleichaltrigen können psychologische Schwierigkeiten entstehen, da der wichtige Entwicklungsschritt eines Konformitätswechsels von den Eltern hin zu Gleichaltrigen nicht oder nur eingeschränkt vollzogen werden kann (Berndt 1979). Zugleich nimmt während dieser Zeit eine Vielzahl sozialer Attribute, wie der sozioökonomische Status, das Geschlecht oder die Ethnizität, Einfluss auf einen erfolgreichen Schulwechsel (van Rens et al. 2018) und beeinflusst die Wahrnehmung durch Mitschüler:innen und Pädagog:innen.

Die Rolle von Schule als Institution deren Auftrag ausschließlich in der Vermittlung kognitiver Bildung liegt, hat sich gewandelt und inzwischen wird ihr als Sozialraum (Reutlinger 2009) und Teil der Lebenswelt von Schüler:innen eine relevante Bedeutung zugesprochen. Ebenso kann Schule Schüler:innen in herausfordernden Lebenssituationen begleiten indem sie bei Bedarf zu „Unterstützungsleistungen“ wie der Schulpsychologie überleiten kann (Kern/Sagerschnig 2016).

Die vorliegende Studie untersucht anhand von Schilderungen der Beteiligten zu Bezügen zwischen Lebenswelt und Schule, welche Herausforderungen während der Schultransition von der Primar- zur Sekundarstufe durch die involvierten Personengruppen wahrgenommen werden und welche Unterstützungsangebote für deren Bewältigung im Sozialraum verfügbar und bekannt sind. Deren subjektive Interpretation sowie die darauf basierenden Handlungen der befragten Personengruppen ermöglichen passende Rückschlüsse auf Chancen der Aneignung im Sozialraum (Reutlinger 2009) und Ansatzpunkte für Unterstützungsangebote durch die Soziale Arbeit. Denn die Angebote der Sozialen Arbeit können nur dann mittel- und langfristig erfolgreich sein, wenn sie in der Lebenswelt der Adressat:innen angeboten werden und eine Einflussnahme auf diese ermöglichen (Zajer 2020).

2. Schule als Sozialraum

Um die Institution Schule als Sozialraum für Schüler:innen zu erfassen, bedarf es zunächst einer theoretischen Verortung des Begriffs. Dies ist bedeutsam, da Sozialraum innerhalb der Sozialwissenschaften wie auch innerhalb der Sozialen Arbeit unterschiedlich definiert wird. Neben der Verwendung als Titel von Fachkonzepten in der Sozialen Arbeit findet sich der Begriff des Sozialraums auch in den theoretischen Grundlagen wieder (Zajer 2020) und wird aufgrund seiner Unschärfe und vielfachen Verwendung auch als „schillernder“ Terminus bezeichnet (Deinet 2013; Spatscheck 2009). Die folgende Annäherung an den Begriff des Sozialraums wird sich auf Auszüge des disziplinären Diskurses innerhalb der Sozialen Arbeit fokussieren. Diesen in seiner umfassenden Gänze aufzuzeigen kann im Rahmen dieses Beitrags nicht gelingen, durchaus jedoch eine Herleitung des Verständnisses von Sozialraum welches für die Betrachtung der Studienergebnisse relevant ist. Als ein „zwiespältiges Verhältnis“ bezeichnen Mack und Schroeder (2005) Schule und Sozialraum und verweisen auf ein Begriffsverständnis von Sozialraum mit Bezug zur Gemeinwesenarbeit. Auch nach Hinte (2009) ist die sozialraumorientierte Soziale Arbeit als Fachkonzept eng mit der Gemeinwesenarbeit verbunden und als ein Teil der Gemeinwesenarbeit zu verstehen. In der Herleitung der Abgrenzung von Schule zum Sozialraum führen Maack und Schroeder (2005) zunächst an, dass bereits in der räumlichen Begrenzung von Schulen durch Zäune und Mauern eine Abgrenzung zum sozialräumlichen Umfeld vorliegt. Abschließend sprechen sie der Schule eine Zugehörigkeit zum Sozialraum zu, begrenzen dies jedoch auf die Zuschreibung eines Bildungsraums.

2.1 Unterschiedliche Raumbegriffe

Deutlich wird hierin, dass Definitionen von Sozialraum in enger Verbindung zum Raumbegriff entstehen. Der sozialwissenschaftliche Diskurs des Raumgriffs lässt sich, stark verkürzt, in drei theoretische Linien zusammenfassen: der absolute Raumbegriff, der relativistische Raumbegriff sowie der relationale Raumbegriff. Innerhalb der Sozialen Arbeit hat sich inzwischen ein relationales Raumverständnis durchgesetzt innerhalb dessen konstruktivistische und materialistische Aspekte des Raums erfasst werden (Schwerthelm 2021). Der hierauf basierende wissenschaftliche Diskurs innerhalb der Sozialen Arbeit ist nach Spatscheck (2012) von zwei Auffassungen geprägt. Zum einen wird, basierend auf einer Auslegung des Sozialraums als Raum in welchem Aneignungs-, Lern- und Teilhabeprozesse stattfinden, der Sozialraum als Bezugsraum definiert, in welchem Prozesse der sozialen Entwicklung ermöglicht werden. Dieser Ansatz folgt dem Konzept, dass das Entdecken, Analysieren und Gestalten des Sozialraums Entwicklungsprozesse ermöglicht, woraus verschiedene praxisnahe Konzepte, beispielsweise für die Kinder- und Jugendhilfe, entstanden. Zum anderen wird der Sozialraum vor dem Hintergrund des Gemeinwesens und der Quartiersentwicklung betrachtet. Hierbei wird nach Möglichkeiten gesucht, die Bürger:innenbeteiligung bei der Schaffung von sozialen Unterstützungsangeboten zu stärken sowie die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur:innen innerhalb des Gemeinwesens und der Quartiere zu stärken.

Bezugnehmend auf dieses Verständnis von Sozialraum weist Deinet (2013) kritisch darauf hin, dass Sozialraum in der Sozialen Arbeit oftmals als sozialgeographischer Raum verstanden wird und dies zu einer eingeschränkten und planungsfokussierten Betrachtung führen kann. Er betrachtet den Aneignungsbegriff des Raums als geeignet um ein subjektives Verständnis des Sozialraums zu erlangen, welches sich von einer administrativen Betrachtung deutlich abgrenzt. Hierzu führt er, unter Bezugnahme auf Ahmed Derecik, fünf Aneignungsebenen an:

Für Hinte (2009) hingegen wird ein subjektives Erfassen des Sozialraums durch eine Orientierung am Willen der Adressat:innen Sozialer Arbeit deutlich. Aufgabe der Sozialen Arbeit ist es daher, die Adressat:innen als Expert:innen für ihren Sozialraum zu betrachten und sie dabei zu unterstützen, ihre Lebenswelt so zu gestalten, dass prekäre Lebenssituationen bewältigt werden können. Er differenziert zwischen zwei prägenden Aspekten, zum einen der sozialökologischen Betrachtung des Wohngebiets mit Bezugnahme auf Ressourcen und zum anderen der konsequenten Orientierung an den Interessen der Adressat:innen der Sozialen Arbeit im Wohngebiet. Beide Betrachtungsweisen sind für ihn wichtige Einflüsse für das Fachkonzept „Sozialraumorientierung“.

„Elementares Ziel sozialraumorientierter sozialer Arbeit ist es, dazu beizutragen, Lebensbedingungen so zu gestalten, dass Menschen dort entsprechend ihren Bedürfnissen zufrieden(er) leben können.“ (Hinte 2009)

Abhängig vom theoretischen Verständnis von Sozialraum wird somit die Bedeutung, Zuordnung und Rolle von Schule innerhalb sowie für den Sozialraum definiert. Erst bei einer theoretischen Verortung von Schule als Sozialraum und Schule im Sozialraum werden die „Wirkungsmöglichkeiten“ innerhalb des Quartiers erfassbar. Für die Quartiersentwicklung kann Schule eine zentrale Rolle einnehmen, wenn sie als Akteurin im Sozialraum Kooperationen mit externen Partner:innen (z. B. mit der Kinder- und Jugendhilfe) eingeht (Reutlinger 2009).

2.2 Schule als Sozialraum und Teil der Lebenswelt von Schüler:innen

Die lange Zeit traditionell voneinander abgegrenzten Rollen von Institutionen lassen sich aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen nicht mehr aufrechterhalten und beinhalten neue Anforderungen an das Schulsystem. Neben ihrem Bildungsauftrag wird von Schulen auch zunehmend verlangt, sich der Lösung sozialer Probleme zuzuwenden (Deinet/Icking 2005). Die Lösung sozialer Probleme ist nach Staub-Bernasconi (2012) ein Ausgangspunkt Sozialer Arbeit und so begegnen sich Schule und Soziale Arbeit inzwischen mit einem gemeinsamen Auftrag.

„Die Orientierung an Sozialräumen und Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen macht es möglich, Schule als Lebensort zu interpretieren und Themen und Bereiche in den Blick zu nehmen, die über die engen institutionellen Zugänge hinausgehen.“ (Deinet/Icking 2005, 10)

Versteht man Lebenswelt als Bezeichnung für alles, was Individuen als Erfahrungshorizont in dieser Welt begegnet, sie umfängt und mit dem sie lernen müssen umzugehen (Habermas 2011), ist Schule ein Teil der Lebenswelt von Schüler:innen. Die Lebenswelten von Adressat:innen der Sozialen Arbeit sind ihre individuellen Wirklichkeitskonstruktionen sowie die subjektive Sicht auf ihre Lebenslage (Kraus 2006). Besonders für das sozialarbeiterische Wirken ist es bedeutend, die Subjektivität von Lebenswelten wahrzunehmen und sie nicht als objektive Lebensbedingungen der Adressat:innen Sozialer Arbeit zu verstehen, denn hierin liegt die Gefahr anzunehmen „[…] man könne die Lebenswelt der Klientel tatsächlich „objektiv“ erkennen und dann den fachlichen Notwendigkeiten (Wünschen) entsprechend gestalten“ (Kraus 2006, 9). Diese Sichtweise kann auch Schulen darin unterstützen den an sie herangetragenen Aufgaben gerecht zu werden und sich im Sozialraum zu verorten. Grimm und Deinet (2009) weisen in ihrer Arbeit besonders daraufhin, dass Schulen zur Unterstützung des informellen Lernens und des Aufrechterhaltens der vielfältigen Rollenarrangements (Vereinsmitglied, Familienangehörige:r, Teil der Peer Group, etc.) von Schüler:innen auch ein Teil des außerschulischen Sozialraums und der Lebenswelt sein müssen. Um Schüler:innen nachhaltig in ihrer Entwicklung zu unterstützen und Teil einer Bildungslandschaft zu werden, die auch diese Prozesse des informellen Lernens fördert, bedarf es einer Vernetzung mit außerschulischen Orten des informellen Lernens (Reutlinger 2010).

Betrachtet man die Entwicklungsmöglichkeiten von Schüler:innen während der schulischen Sozialisation kann diese nach Popp (2012) aus zwei Perspektiven kritisch diskutiert werden: Zum einen da durch eine immer längere Verweildauer der Schüler:innen in schulischen Settings und oft fehlendem Alltagsbezug der Unterricht als sinnlos erlebt werden kann und eine abstrahierende „Verschulung“ stattfindet, die sich aufgrund fehlender sozialer Bezüge negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. Zum anderen da Schule einen sozialen Lernraum darstellt, der Chancen zur Orientierung und Erprobung der eigenen Fähigkeiten und damit zur Identitätsbildung bietet (Popp 2012). Deutlich wird hier, dass eine Öffnung zum Sozialraum und eine Vernetzung mit Orten des informellen Lernens kritischen Aspekten der schulischen Sozialisation, wie einer „Verschulung“, entgegenwirken können. Die nachfolgend dargestellte Studie greift dieses Spannungsfeld weiter auf und untersucht in diesem Kontext, wie die schulische Sozialisation während des Wechsels von der Primar- in die Sekundarstufe durch die verschiedenen involvierten Personengruppen erlebt wird.

3. Aufbau und Inhalt der Studie

Der vorliegende Beitrag stellt Ergebnisse der qualitativen Auswertung semi-strukturierter leitfadengestützter Interviews (Willig 2008) dar, die mit Stakeholder:innen der Schultransition von der Primar- zur Sekundarstufe in Niederösterreich geführt wurden. Die Interviews wurden 2018 im Rahmen des an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems angesiedelten und mit einer Hauptförderung durch die Ludwig Boltzmann Gesellschaft durchgeführten Forschungsprojekts „D.O.T. – Die offene Tür“ – geführt, um die Entwicklung eines praxisrelevanten Primärpräventionsangebots zur Förderung des mentalen Wohlbefindens und der sozialen Verbundenheit von Schüler:innen zu unterstützen (Schrank 2018). Ziel der vorliegenden Analyse ist es, die Lebenswelten und subjektiven Deutungen von Schüler:innen zu erfassen, indem untersucht wird (1) welche Lebenssituationen von Schüler:innen während der Schultransition als herausfordernd erlebt werden, (2) Erkenntnisse über Angebote und Struktur von Unterstützungsmöglichkeiten zur Bewältigung der Schultransition zu gewinnen und (3) zu erfahren, ob soziodemografische Charakteristika einflussnehmend auf (1) und (2) sind.

3.1 Stichprobe

In die Studienstichprobe wurden die folgenden Personengruppen einbezogen: Pädagog:innen, Schüler:innen, Sozialarbeiter:innen, Beratungslehrer:innen, Psycholog:innen, Fachkräfte aus der schulischen Nachmittagsbetreuung und Eltern. Es wurden Interviewpartner:innen beider Geschlechter, mit und ohne Migrationshintergrund, sowie aus verschiedenen Regionen des Bundeslandes einbezogen, um ein möglichst breites Spektrum subjektiver Lebenswelten abzubilden. In den Gruppen der Fachkräfte wurde darauf geachtet, sowohl Berufsanfänger:innen wie auch berufserfahrene Personen einzubeziehen. Die teilnehmenden Schüler:innen wurden aus Schulstufen rekrutiert, die den Schulwechsel bereits abgeschlossen hatten und sich rückblickend erinnerten.

Von April bis Oktober 2018 nahmen 82 Personen an den Interviews teil, davon 56 Fachkräfte/Eltern und 26 Schüler:innen. Die soziodemographische Zusammensetzung der Eltern und Fachkräfte findet sich nachfolgend in Tabelle 1, jene der teilnehmenden Schüler:innen in Tabelle 2.

Tabelle 1: Soziodemographische Charakteristika der teilnehmenden erwachsenen Interviewpartner:innen:

Teilnehmer:innenAnzahlGeführte Interviews n = 56Ausgewertete Interviews n = 31
    n % n %
Geschlecht Weiblich 44 77 26 84
Beruf Psycholog:in Sozialarbeiter:in Lehrer:in Eltern(teil) Andere 4 8 36 4 4 7 14 64 7 7 2 6 16 3 4 7 19 52 10 13

Tabelle 2: Soziodemographische Charakteristika der teilnehmenden Schüler:innen:

Teilnehmer:innenAnzahlGeführte Interviews n = 26Ausgewertete Interviews n = 16
    n % n %
Geschlecht Weiblich 17 65 7 50
           
Schultyp Neue Mittelschule Gymnasium ASO Oberstufe 10 7 2 7 38 27 8 27   4 6 2 4 15 44 15 29

     

Bei den für die vorliegende Analyse einbezogenen, ausgewerteten Interviews wurde darauf geachtet, die verschiedenen Gruppen in annähernd gleicher Verteilung, wie im Gesamtsample einzubeziehen. Überrepräsentiert sind in der Auswertung aufgrund der geringen Anzahl im Gesamtsample und ihrer besonderen Relevanz für die untersuchte Fragestellung die Gruppe der Eltern. Auch die Gruppe der weiteren Fachkräfte (Beratungslehrer:innen, Fachkräfte der schulischen Nachmittagsbetreuung) wurde erhöht in die Auswertung mit aufgenommen, da aufgrund des Settings, in dem diese Gruppe Schüler:innen begegnet, von neuen Perspektiven ausgegangen wurde. Verändert wurde durch diese verstärkte Einbeziehung das Geschlechterverhältnis des Auswertungssamples im Vergleich zum Gesamtsample. Da bis zur theoretischen Sättigung ausgewertet wurde, ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse dadurch nicht verzerrt wurden. Bei der Auswahl der Interviews der Schüler:innen wurde auf eine gleichmäßige Einbeziehung aller Schulformen und beider Geschlechter geachtet.

3.2 Datenerhebung und Analyse

Die Interviews wurden im persönlichen Kontakt, zumeist vor Ort in Schulen, durchgeführt, per Tonband aufgezeichnet und im Anschluss wortgetreu transkribiert. Der Leitfaden für Schüler:innen umfasste die Themenbereiche (1) Wohn- und Lebenssituation, (2) familiäre Beziehungen, (3) Beziehungen und Freundschaften zu Gleichaltrigen und (4) das Erleben der Schultransition.

Der Leitfaden für die erwachsenen Teilnehmer:innen umfasste die Themenbereiche (1) Setting, in dem Schüler:innen begleitet werden (Beschreibung des Arbeitskontextes oder der Familie), (2) Beobachtungen über Freundschaften zwischen Gleichaltrigen, (3) Erfahrungen und Expertise zum Thema Schulwechsel und (4) Mediennutzung.

Um das subjektive Erleben der Studienteilnehmer:innen zu erfassen, wurde in einem ersten Schritt das Datenmaterial in chronologischer Reihenfolge nah an den Interviewinhalten orientiert kodiert, bis es nach 35 Interviews zu einer theoretischen Sättigung kam. Im Anschluss wurden gezielt weitere zwölf Interviews aus bisher unterrepräsentierten Teilnehmer:innen-Gruppen (Schüler:innen der Neuen Mittelschule sowie Allgemeinen Sonderschule, Eltern von Schüler:innen der Neuen Mittelschule, Lehrkräfte der Allgemeinen Sonderschule) in die Analyse einbezogen. Nach erneutem Erreichen einer theoretischen Sättigung wurde die Analyse beendet.

Basierend auf der Forschungsfrage wurden drei Kategorien gebildet (herausfordernde Lebenssituationen, Unterstützungsangebote, soziodemografische Charakteristika), denen die codierten Interviewinhalte zugeordnet wurden. Das darauf basierende Kodierschema wurde gemeinsam mit Praktikantinnen der Forschungsgruppe, welche annähernd im Alter der älteren teilnehmenden Schüler:innen waren, diskutiert und abschließend noch einmal auf alle Interviews angewandt um ein Erfassen des subjektiven Erlebens dieser Teilnehmer:innengruppe sicherzustellen.

4. Studienergebnisse

Nachfolgend werden die Ergebnisse der Analyse der als herausfordernd benannten Lebensbedingungen dargestellt, anschließend wird auf Unterstützungsangebote für Schüler:innen eingegangen und diese mit den Erkenntnissen über soziodemografischen Charakteristika in Bezug gesetzt.

4.1 Herausforderungen in Sozialraum und Lebenswelt

In den Interviews wurden insgesamt neun herausfordernde Lebenssituationen benannt, welche zum Spektrum der sozialen Probleme zählen, die Schüler:innen während des Schulwechsels erlebten (Mädge/Jesser 2021; Mädge et al. 2022).

Die Auswirkungen fehlender familiärer Unterstützung wurden besonders in Bezug zu integrativen Prozessen und fehlender Chancengleichheit (Erreichen einer höheren Schulbildung) im schulischen Kontext benannt. Mehrfach wurde in den Interviews angegeben, dass für Schüler:innen ohne familiäre Unterstützung der Schulwechsel besonders herausfordernd ist, da mit dem/der Klassenlehrer:in aus der Volksschule eine wichtige Vertrauensperson wegbricht und sie sich in der Sekundarschule auf viele neue und verschiedene Fachlehrer:innen einstellen müssen.

Trennungssituationen wurden von den betroffenen Schüler:innen als belastend beschrieben, wobei das Ausmaß der Belastungen stark mit dem Verhalten der Eltern zusammenhing. Durch ein Überspielen wurden die Belastungen zumeist vor Außenstehenden verborgen. In dieser Situation Unterstützung durch die Peer Group zu erhalten, war besonders erschwert wenn sich bestehende Freundschaften durch Umzüge aufgrund der Aufgabe der gemeinsamen Familienwohnsituation (Haus, Wohnung) veränderten und ein neuer Freundeskreis aufgebaut werden musste. Im schulischen Kontext wurde angeführt, dass es den Kindern anzumerken sei, dass viele Veränderungen erlebt wurden. Die zumeist aus einer Trennung oder Scheidung entstehende Situation von Alleinerzieher:innen wurde ebenso als belastend für die Schüler:innen benannt. Nehmen die Kinder eine Rolle als Ersatzpartner ein, kann diese enge Bindung nachteilig für die Integration in die Klassengemeinschaft sein, wenn die Kinder es aufgrund von Interventionen der Eltern schwerer haben, sich mit anderen Kindern zu verabreden oder an schulischen Aktivitäten teilzunehmen.

Für die Lebenssituation von Schüler:innen, die mit einem psychisch erkrankten Elternteil aufwachsen, wurden besondere Herausforderungen beschrieben, welche den gesamten sozialen Lebensraum umfassen sowie prägende Eigenschaften für die individuelle Entwicklung haben können. Außerfamiliäre Beziehungen, im Besondern zur Peer Group, wurden als massiv beeinträchtigt benannt, wenn es unmöglich ist, über Geschehnisse zuhause zu sprechen oder sich daheim mit Freund:innen zu treffen. Neben Belastungen aufgrund der Erkrankung wurde geäußert, dass sich bei den Kindern ein starkes Verantwortungsgefühl gegenüber den Geschwistern entwickelt. Schüler:innen erzählten, wie sie wichtige Entwicklungsschritte (z. B. den Beginn einer Ausbildung in entfernten Orten) zurückstellten um weiterhin für ihre Geschwister sorgen zu können. Suchterkrankungen der Eltern oder die Einnahme starker Medikamente wurden als hemmend für eine gelingende Fürsorge für die Kinder beschrieben und können zu einer Übernahme der Versorgungsrolle in der Familie durch die Kinder führen.

Deutlich wurde anhand der Schilderungen psychischer Gewalt in der Kernfamilie die Bedeutung von als sicher erlebbaren Räumen im Sozialraum, in denen es möglich ist, Freunde unabhängig von der familiären Situation treffen zu können. Die betroffenen Schüler:innen gaben an, der häuslichen Situation bestmöglich auszuweichen, da sie keine anderen Handlungsmöglichkeiten für sich sahen.

Litten Eltern an schweren körperlichen Erkrankungen, erlebten Schüler:innen nicht nur die eigenen Sorgen und Ängste, sondern wurden verstärkt in familiäre und häusliche Aufgaben eingebunden. Die Zeit der Erkrankung wurde als durchgehen belastend beschrieben, da die Unterstützung der Eltern fehlte und es zugleich weniger Möglichkeiten gab, sich mit Freunden und Mitschüler:innen zu treffen oder an Freizeitangeboten teilzunehmen.

Mehrfach schilderten Pädagog:innen Erfahrungen und Beobachtungen über Schüler:innen, in deren Familien es zu Todesfällen kam. Die daraus resultierenden Belastungen für die Schüler:innen wurden in den Interviews wenig thematisiert, da die Betroffenen Gesprächsangebote im schulischen Kontext ablehnten und in einigen Fällen auch explizit darum baten, dass der Todesfall in der Schule nicht thematisiert wird.

Schüler:innen beschrieben Mobbing vorrangig im schulischen Kontext durch Mitschüler:innen, mit einer Ausdehnung durch Social Media, wie Klassenchats, bis in die Freizeit. Sie erlebten Mobbing in Bezug auf ihr Erscheinungsbild und/oder ihre familiäre Situation und beschrieben es als herausfordernd, sich in dieser Situation Unterstützung zu suchen, weshalb die Erlebnisse oftmals verschwiegen wurden. Pädagog:innen gaben an, von Mobbingsituationen erst spät Kenntnis zu erhalten, wodurch zumeist verspätet interveniert wurde.

In den Interviews wurden Lernschwächen und psychologische Auffälligkeiten als nachteilig für den Aufbau von Freundschaften und Integration in die Klassengemeinschaft bewertet, da sie mit einem schwierigen Sozialverhalten assoziiert wurden.

Das Erleben von Leistungsdruck in Kombination mit erhöhten Anforderungen an die Eigenständigkeit aufgrund des Schulwechsels wurden von Schüler:innen als herausfordernd und oftmals als belastend beschrieben. In einigen Fällen wurden die empfundenen Belastungen so stark, dass es zur Bildung psychosomatischer Krankheitsbilder kam. Die befragten Eltern schilderten schulische Probleme in Bezug auf konflikthafte Situationen zwischen Schüler:innen untereinander oder mit Pädagog:innen. Zudem beschrieben sie eine Zunahme der schulischen Leistungsanforderungen in der Sekundärstufe mit deutlichen Auswirkungen auf das familiäre Leben und die sozialen Kontakte der Kinder, da Nach- und Vorbereitungen der Schulaufgaben als zeitintensiv erlebt wurden.

4.2 Angebote für Schüler:innen

Nachfolgend wird dargestellt, in welchen Settings unterstützende Angebote bekannt sind und welche Faktoren als förderlich oder hemmend für ihre Inanspruchnahme benannt wurden.

Ein Vorteil von Unterstützungsangeboten im schulischen Kontext kann die örtliche Nähe zu Schüler:innen sein. Die Angebote sind jedoch nur durchführbar, wenn die dafür notwendigen Ressourcen (z. B. Zeit, Finanzierungsmöglichkeiten und Räume) zur Verfügung stehen. Die Pädagog:innen gaben an, dass Schulen über sehr unterschiedliche Ressourcen zu verfügen. Während mehrere Pädagog:innen erzählten, dass sie Unterstützung durch Beratungslehrer:innen, Schulpsycholog:innen und Schulärzt:innen zeitnah und regulär in Anspruch nehmen können, müssen diese an anderen Schulen angefordert werden. Hierdurch vergeht oftmals eine lange Zeitspanne bis zu einer möglichen Inanspruchnahme von Unterstützung.

„Wenn man einen Beratungslehrer anfordert, ist das Problem schon verjährt bis dieser da ist. Es wäre wichtig, einen greifbaren Ansprechpartner bei Problemen zu haben.“ Int_02 Pädagog:in

Die Angebote scheinen für Schüler:innen leichter annehmbar zu sein, wenn eine positive Beziehung zu dem/der dorthin vermittelnden Pädadog:in besteht. Der Aufbau einer solchen Beziehung wird von Pädagog:innen als zeitintensiv beschrieben, den Aussagen zufolge fehlen besonders an Sekundärschulen die hierfür notwendigen zeitlichen Ressourcen.

„Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn der Klassenvorstand nur Nebenfächer unterrichtet, damit er Zeit hat, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen und sich Problemen annehmen kann. Das würde viele Problematiken verringern. Und dass die Kinder einen Mentor bekommen, vielleicht Peer-Mentoring, das würde auch helfen.“ Int_05 Pädagog:in

Bei ausreichenden finanziellen und zeitlichen Ressourcen gaben Pädagog*innen an, dass sie Leistungen externer Anbieter:innen in Anspruch nehmen können. Hierzu zählten (zumeist präventive) Workshops zu bestimmten Themenbereichen wie Mobbing aber auch die Gestaltung von speziellen, zum Teil mehrtägigen Angeboten, die ein Kennenlernen der Schüler:innen in den ersten Schulwochen ermöglichten.

Die Angaben bezüglich der Teilhabe an Freizeitaktivitäten wie Sportgruppen waren widersprüchlich. Zumeist wurde ein vorhandenes Angebot an Freizeitaktivitäten als positiv für Schüler:innen und ihre Integration in die Peer-Group sowie für die Bewältigung herausfordernder Lebenssituationen bewertet, da die Stärken der Schüler:innen gefördert werden, sie verschiedene Bezugspersonen gewohnt sind sowie innerhalb der Angebote Freundschaften aufbauen und erhalten können.

„Vereine (z.B. Sport) stellen eine Möglichkeit zum Treffen dar, andere öffentliche Plätze sind oftmals nicht verfügbar.“ Int_08 Sozialpädagog:in

Kritisch angemerkt wurde, dass diese Angebote aufgrund eines starken (digitalen) Medienfokus immer weniger wahrgenommen werden. Demgegenüber wurde ein Fehlen von Freizeitangeboten als positiv bewertet, da es Schüler:innen zu einer kreativen Freizeitgestaltung anregen kann. Das Fehlen von Angeboten könnte es fördern, dass sich Schüler:innen im Quartier begegnen, einen engen Zusammenhalt entwickeln und das Wohngebiet ihren Bedarfen entsprechend gestalten z.B. in dem sie im öffentlichen Raum Fußball spielen. Ein Überangebot wurde mehrfach als negativ benannt, da die Schüler:innen kaum mehr über zeitliche Ressourcen für den Aufbau selbstgewählter sozialer Kontakte und Aktivitäten verfügen.

„Ständige Struktur durch Schule, Hausaufgaben und Freizeitangebote verhindert, dass man Zeit für Freundschaften hat.“ Int_18 Hortpädagog:in

Vorteilhaft scheint für die Inanspruchnahme von Freizeitaktivitäten ein urbaner Wohnort, da vorhandene Angebote aufgrund der Infrastruktur leichter erreichbar sind. Mehrfach wurde angegeben, dass Freundschaften zwischen Gleichaltrigen vorwiegend in der Freizeit entstehen und weniger in der Schule. Schüler:innen gaben an, dass sie in der Freizeit nach Menschen suchen können die ihnen wirklich sympathisch sind und daher eher Freundschaften außerhalb der Schule suchen. Die Schüler:innen gaben an, dass sie in ihrer Freizeit den digitalen Sozialraum als besonderes hilfreich erlebten da sie sich hier anonym mit Außenstehenden über Probleme wie Mobbing austauschen konnten ohne unerwünschte, stigmatisierende Reaktionen zu erleben.

Angebote von freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe außerhalb des schulischen Kontextes wurden vor allem dann als positiv bewertet, wenn sie niedrigschwellig und kostenfrei waren sowie innerhalb des Sozialraums der Schüler:innen angeboten wurden. Beispiele hierfür sind die offene bzw. mobile Kinder- und Jugendarbeit sowie diverse kostenlose Workshops zu Themen, wie beispielsweise Mobbing.

„Aber, wenn es in einem Ort ein Jugendzentrum gibt, ist das natürlich Treffpunkt und haben sie nochmal die Möglichkeit, ihre Schulkollegen zu treffen, ihre Klassenkameraden zu treffen, Beziehungen außerhalb der Schule nochmal zu intensivieren, vielleicht was Lustiges nochmal miteinander zu machen und so.“ Int_82 Pädagog:in

Sobald unterstützende Angebote mit Kosten verbunden sind, wurde eine Inanspruchnahme aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen als nicht für alle Schüler:innen möglich angegeben. Es wurde beschrieben, dass eine prekäre finanzielle Situation der Familie sich nachteilig auf die Bewältigung von schulischen Aufgaben und Leistungsanforderungen auswirken kann. So können beispielsweise Unterstützungsmöglichkeiten wie Nachhilfe kaum oder gar nicht in Anspruch genommen werden.

„Sie haben mir zuerst – also das war in der Zweiten, glaube ich – haben sie mir eine Nachhilfe gegeben und das war echt neu, weil das war eigentlich nie das Thema, weil eine Nachhilfe kostet wahnsinnig viel und wir sind zu dritt – also drei Kinder und da sind wir dann fünf und wohnen in einem Haus in einem großen und das kostet ja alles wahnsinnig viel.“ Int_22 Schüler:in

Bezüglich der Inanspruchnahme von professionellen psychosozialen Unterstützungsangeboten wurde der ländliche Raum als nachteilig betrachtet, da zumeist wenige Angebote verfügbar sind und für die Inanspruchnahme oftmals Fahrtwege entstehen. Von Pädagog:innen wurde zudem mehrfach angegeben, dass längere Wartezeiten für schulpsychologische Unterstützung oder Angebote des Kriseninterventionsteams einzuplanen sind.

Die Bedeutung von Unterstützung durch die Familie wurde in nahezu allen geführten Interviews als äußerst relevant während des Schulwechsels benannt, besonders für den Aufbau von Freundschaften. Wichtig erscheint, dass die Unterstützung, in einem für die Schüler:innen passenden und damit annehmbaren Ausmaß angeboten wird.

„Es gibt ein ‚zu viel‘ an elterlicher Intervention in Bezug auf Freundschaften z. B. Verbote und ein ‚zu wenig‘, wenn Eltern sich nicht kümmern.“ Int_23 Pädagog:in

Die ebenso benannte fehlende Unterstützung durch die Eltern scheint langfristige und gravierende Auswirkungen auf die Integration der Schüler:innen sowohl in den schulischen Kontext, wie auch in die Peer Group zu haben. Besonders in Familien mit Migrationshintergrund können sprachliche Barrieren und kulturell bedingte unterschiedliche Auffassungen es erschweren, dass Schüler:innen Unterstützung erleben. Erleben die Schüler:innen keine Unterstützung durch die Eltern, wurden stabile Bezugspersonen als besonders wichtig benannt, um dieses Defizit zu kompensieren.

„Fehlende Unterstützung bildet die Grundlage für psychische Probleme. Kinder die keine Unterstützung erfahren sind besonders vulnerabel.“ Int_17 Psycholog:in

Diese Rolle kann den Interviews zufolge von Familienmitgliedern, Freunden oder auch Pädagog:innen eingenommen werden. So gaben mehrere Schüler:innen an, dass Verwandte für sie Ansprechpartner:innen bei Problemen sind und ihre Unterstützung eine stabile Tagesstruktur ermöglicht. Schüler:innen benannten Freundschaften innerhalb der Peer Group und Unterstützung durch die Familie als wichtige Ressource bei der Bewältigung von herausfordernden Lebensbedingungen.

4.3 Materielle Ungleichheiten im Sozialraum – Soziodemografische Charakteristika

Die Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten wird von drei soziodemografischen Charakteristika beeinflusst (Mädge/Jesser 2021; Mädge et al. 2022):

Der Wohnort hat generelle Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten. Generell wurde dem städtischen Raum zugesprochen, über ein breiteres Angebot zu verfügen und durch die Infrastruktur leichteren Zugang zu Angeboten zu ermöglichen. Im ländlichen Raum scheint es leichter zu sein, Herausforderungen durch den engen sozialen Zusammenhalt aufzufangen, zugleich kommt es aufgrund von Stigmatisierungen (gesellschaftliche Ächtung) häufiger zu Exklusionsprozessen. Generell wurden eine Beständigkeit des Wohnorts, verbunden mit Verwandten in örtlicher Nähe als unterstützend für Schüler:innen beschrieben.

Die negativen Auswirkungen eines geringen sozioökonomischen Status wurden vielfach beschrieben. Geringe und unzureichende finanzielle Ressourcen von Familien wurden als nachteilig für die Teilhabe an schulischen Veranstaltungen wie Klassenreisen bewertet. Die Integration in die Klassengemeinschaft für die betroffenen Schüler:innen wurde als erschwert beschrieben, wodurch weniger Möglichkeiten Unterstützung durch Freund:innen zu erleben entstehen. Ebenso wurde die Bewältigung von schulischen Aufgaben und Anforderungen aufgrund von fehlenden Materialien als schwieriger beschrieben. Eine Inanspruchnahme von kostenpflichtigen Unterstützungsangeboten wie Nachhilfe ist zumeist nicht möglich. Problematisch wurde benannt, wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten um die finanzielle Situation der Familie zu sichern, hierdurch fehlen den Eltern oftmals die Ressourcen, ihre Kinder zu unterstützen.

Ein Migrationshintergrund von Schüler:innen wurde in manchen Äußerungen im Zusammenhang mit negativen Auswirkungen für das Erleben familiärer Unterstützung und die Bewältigung schulischer Herausforderungen benannt. Sprachliche Barrieren erschweren es, dass Eltern ihre Kinder beispielsweise bei den Hausaufgaben unterstützen können.

5. Ressourcen und Bedarfe

„Sozialraum- und Lebensweltanalysen zielen darauf ab, […] Eigenschaften und Potenziale und die noch bestehenden und drohenden Probleme in sozialen Räumen zu erkennen und diese im Kontext der Sozialen Arbeit für die Lösung, Minimierung, Vermeidung und Verhinderung sozialer Probleme nutzbar zu machen.“ (Spatscheck 2009, 37)

Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass soziodemografische Charakteristika (finanzielle Ressourcen, Wohnort, Migrationshintergrund) eine große Bedeutung für die Ressourcen und Chancen zur Bewältigung von sozialen Problemlagen haben. Dies benannten Schüler:innen besonders im Hinblick auf negative Effekte, wie soziale Exklusion und fehlende Chancengleichheit beispielsweise bei der Inanspruchnahme von kostenpflichtigen Unterstützungsangeboten. Im Sozialraum werden belastende Auswirkungen sozialer Problemlagen als Teil der Lebenswelt der Schüler:innen deutlich. Entlastungen durch Kontakte zu Gleichaltrigen zu erleben oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen gestaltete sich bei fehlenden Ressourcen und/oder einem Mangel an Angeboten im Quartier schwierig. Besonders im ländlichen Raum tätige Pädagog:innen gaben an, aufgrund geringer Ressourcen und aufwendiger Formalitäten Schüler:innen in Problemlagen erst spät Unterstützung anbieten zu können. In der Sekundarstufe fehlt es zudem an zeitlichen Ressourcen, um Problemlagen zu erkennen und ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Schüler:innen aufbauen zu können, durch welches es gelingt, über Probleme und Sorgen zu sprechen sowie Unterstützung anzunehmen.

Von allen teilnehmenden Fachkräftegruppen wurde angegeben, dass es an Möglichkeiten fehlt, die Transitionsphase ausreichend zu begleiten und über den eigenen Tätigkeitsbereich hinausgehende Netzwerke aufzubauen. Dabei hat die Betreuungskomplexität von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren zugenommen und besonders die indirekte Betreuungsarbeit (z. B. Netzwerkarbeit) zu leisten wird von Fachkräften als Belastung eingestuft, für die kaum Ressourcen vorhanden sind (Schober 2020). Der Bedarf an Netzwerkarbeit wird im Abschlussbericht über die „Integrierte psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen“ deutlich. So verfügen Schulen in Österreich über interne und externe Hilfsangebote, die Unterstützung multipler Problemlagen bei Schüler:innen kann aber erst durch deren Vernetzung und den Aufbau darüber hinausgehender Netzwerke (z. B. zur Kinder- und Jugendhilfe) gelingen (Kern/Sagerschnig 2016). Schulsozialarbeit kann hier eine „Drehangelfunktion“ einnehmen, indem Schulen im Prozess der Öffnung und Netzwerkbildung unterstützt werden. Aktuellere Erhebungen zeigen jedoch, dass bisher zumeist sehr auf das schulische System fokussiert gearbeitet wird (Deinet/Icking 2019).

6. Fazit

Die Lebenswelt vieler Schüler:innen beinhaltet die Auseinandersetzung mit sozialen Problemlagen, in denen sie sich häufig alleine und ohne Ansprechpartner:in fühlen. Schule kann ein Ort sein, um diese Adressat:innen Sozialer Arbeit zu erreichen, indem unterstützende Angebote innerhalb der Schule und Überleitungen zu externen Institutionen und Akteur:innen im Sozialraum stattfinden. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, benötigen Schulen ausreichende Ressourcen zur Angebotsgestaltung und Netzwerkarbeit, dies gilt in gleichem Maße für etwaige Netzwerkpartner:innen. So kann Schulsozialarbeit „die Etablierung einer sozialräumlichen Bildungslandschaft unterstützen“, sofern sie über den schulischen Raum hinaus tätig werden kann und nicht überlastet wird, indem sie alle sozialen Aufgaben von Schulen übernimmt (Deinet/Icking 2019). Die Überlastungen aller Akteur:innen, die Schüler:innen während der Transitionsphase begleiten, sowie die weiter ausbaufähigen Strukturen für Netzwerkarbeit erschweren derzeit, dass Schüler:innen jene Formen von Unterstützung erhalten, die sie benötigen und Schulen zu einem lebendigen Teil einer sozialraumorientierten Bildungslandschaft machen würden.

Literatur

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Zitiervorschlag

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